Washi (2/2): Rohmaterial und Herstellung
- Annabell
- 27. Juli
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 1. Aug.
Folgend auf den Artikel über die Geschichte des Japanpapiers beschreibe ich hier Rohmaterial und Herstellung.

Vier Ingridien
Für die Herstellung von Japanpapier braucht es viererlei:
als Rohmaterial Strauchrinde
möglichst reines, weiches Wasser
Alkali zur Bleiche, traditionell Holzasche
"neri", das Sekret der zerschlagenen Wurzel der Lotuspflanze Aoi Tororo als natürliches Dispergiermittel

Klassische Rohmaterialien
Washi wird hergestellt aus dem inneren, hellen Teil von Strauchrinden. Die bis heute meist verwendeten Sträucher sind Kozo, Gampi und schließlich auch das aus China übernommene, in der japanischen Produktion eher moderne Mitsumata.
Rezept und Herstellungsprozess variieren je nach Region und Hersteller mit landesweit über 1.000 Papiersorten. Es gibt Sorten aus nur einer der drei typischen Rohmaterialien sowie aus Mischungen. Auch neuartige Grundstoffe werden in die japanische Papierherstellung integriert.
Kozo (Broussonetia kazinoki, Broussonetia papyrifera)
Kozo ist eine in Japan einheimische Maulbeerstrauchart und das klassische Rohmaterial für Japanpapier. Die Sträucher sind auf Feldern pflegeleicht kultivierbar und wachsen jährlich zur Ernte nach. Eine junge Pflanze braucht 5 Jahre, bis sie erntereif ist und kann ab da ganze 20 bis 30 Jahre in der Papierherstellung genutzt werden.
Kozo dient zur Herstellung vieler Papiersorten mit ebenfalls vielfältigen Verwendungszwecken. Seine langen, festen Fasern sind ein Versprechen für starkes, langlebiges Papier: Manche Sorten aus kozo kann man nur mit Widerstand zerreißen. Da es mit guter Luftdurchlässigkeit zudem "atmet", das heißt Feuchtigkeit tief aufsaugt und genauso leicht wieder abgibt, ist es ideal für Schiebetüren und Trennwände. Auch Farbe nimmt es gut auf.
Gampi (Diplomorpha sikokiana)
Gampi-Sträucher gedeihen einzig an sonnigen Orten auf Serpentinitgestein. Solche Landschaften findet man in den Präfekturen Shizuoka und Ishikawa. Da also Gampi nicht auf Feldern kultiviert werden, sondern nur aus Wildsammlung gewonnen werden kann, zudem in 10 Jahren im Durchmesser um nur 3cm wächst, ist es ein teures Material.
Seine kurzen, dünnen Fasern ergeben ein festes Papier mit im Sepia-Ton schimmernd glänzender Oberfläche. Es knistert zudem auf besondere Art, man könnte den Klang beschreiben als "knuspernd".
Verwendet wird Papier aus Gampi hauptsächlich zum Schreiben von Sutren, für Japanische Gemälde und für Papiertüren- und Trennwände. Da es natürlich wasser-, verfallsresistent und immun gegenüber Insektenbefall ist, wird es außerdem zu Restaurationszwecken gebraucht. Auch das Louvre und der Vattikan nutzen Washi zur Erneuerung von Gemälden, Artifakten und Dokumenten.
Mitsumata (Edgeworthia chrysantha)
Mitsumata ist ein im Vergleich mit Kozo und Gampi neuartiges Material, das in der Edo-Zeit (1603 bis 1868) aus Chinas Himalaya-Regionen nach Japan eingeführt wurde.
Seine kurzen, dünnen Fasern, von Natur aus gelb-oranger Färbung, ergeben ein reiches, feinkörniges Papier mit besonders faltenfreier Oberfläche. So ist es bestens für Drucke geeignet, zudem für Kalligrafie und zum Gravieren. Es wird zudem zur Herstellung von japanischen und chinesischen Geldscheinen verwendet.
Moderne Rohmaterialien
Weitere Rohmaterialien sind folgende:
Reisstroh
Japans vielseitige Verwendung von Reisstroh liegt nahe, bedenkt man den Reisanbau. Viele Japaner haben Reisstrohpapier aus der Kindheit als billiges, bräunliches Bastelpapier in Erinnerung, doch handelt es sich beim vom Washi-Handwerker geschöpften Reisstrohpapier um hochwertiges Kalligrafiepapier dank besonders kurzer Fasern.
Bambus
Bambus ergibt ebenfalls gute Kalligraphie- und Malpapiere, unter anderem in Mischung mit Kozo.
Mischungen mit Pulpe
Durch die Beigabe von Pulpe schafft man für die Druckermaschine geeignetes Washi.
Mischungen mit Recycling-Papier
Mit solchen Rezepten werden dicke, pappähnliche Bögen und Rollen mit gräulicher Färbung hergestellt, aus denen beispielsweise Pappmascheepuppen (Hariko) gemacht werden.
Experimentelle Rohmaterialien
Es gab bereits viele Versuche, neue Materialien in die Washi-Herstellung zu integrieren, z.B. mit Hanf, Baumwolle, Banane und Kenaf.
Die Herstellung
Die Produktion von Japanpapier ist ein saisonaler Prozess. Früher bauten Farmer neben Reis und Gemüse oftmals in kleinen Mengen kozo an und produzierten in Winterarbeit Washi. Nach der Ernte im Herbst widmeten sie sich dem Papier, für dessen Herstellung die Dorfgemeinschaft, einschließlich Senioren, zusammenkam. Das Wasser aus den Bergen ist im Winter besonders rein, sodass mit ihm ebenfalls reines, langlebiges Papier hergestellt werden kann. Neri, das sehr anfällig für Hitze und bakterielle Zersetzung ist, schwindet zudem im Winterwetter langsamer.
Heutzutage bauen Papierhersteller ihr Rohmaterial teils selbst an, teils kaufen sie es ein.
Im Folgenden beschreibe ich den Ernte- und Herstellungsprozess von kozo zu Washi, unterstrichen von Fotos, die hauptsächlich aus meine eigenen Herstellungserfahrung abbilden.
Anbau und Ernte von kozo
Im Frühjahr sprießen auf den abgeernteten kozo-Feldern neue Zweige. Zwischen Ende April und Anfang Mai werden diese begutachtet, wobei einzelne für die diesjährige Papierherstellung gewählt und zugunsten ihrer andere zurückgeschnitten werden.
In Ogawa werden neben den Rinden zur Papierherstellung in kleinen Mengen auch die Blätter zur Kreation von Spezialitäten verwendet, nämlich kozo-Tee und kozo-Gallette (Kuchen).
Nachdem im Herbst die Blätter gefallen sind, werden zwischen November und Januar die im Sommer gewählten, nun kahlen Zweige zur Papierherstellung geerntet. Auf eine Länge von etwa 70 bis 100 cm geschnitten, werden sie gebündelt und eingeholt. Die Bündel kommen in Dampfbäder und die Rinde löst sich vom Ast.

Nach der Dampfbehandlung können die Rinden im noch warmen Zustand leicht abgepellt werden. Anschließend wird mit dem Messer die dunkle Außenschicht entfernt und die nun grünliche Rinde zum Trocknen gelegt.
Die übrig bleibenden, gepellten Stöcke haben keine Verwendung für die Papierherstellung und werden oft von Kindern zum Samurai-Spiel abgeholt.

Bleichen der Rinden
Als nächster Schritt folgt die Bleiche. Die Rinden werden eingeweicht und auch die grüne Schicht wird nun abgekratzt. Ist dies getan, werden sie mit Alkali in Wasser gekocht, meist mit Sodium Bicarbonate, in früheren Zeiten mit Holzasche. Dies entfernt Verunreinigungen, macht die Fasern weich und löst sie voneinander.
Nach dem Kochen werden die Rinden in kaltem Wasser gründlich gereinigt und einer natürlichen Sonnenbleiche (Ozonbleiche) unterzogen, im Becken, Fluss oder im Schnee.
Heutzutage ist alternativ auch eine chemische Aufhellung ohne anschließende Sonnenbleiche gängig, meist durch die Verwendung von Chlor. Chemisches Bleichmittel statt der Ozonbleiche beschleunigt zwar den Herstellungsprozess, schädigt jedoch die Fasern, sodass chemisch gebleichtes Papier nicht die gleiche Langlebigkeit hat wie tradtionell hergestelltes. Dieses wird bei ausgereifter Handarbeit über 1.000 Jahre alt ohne zu vergilben.

Trennen der einzelnen Fasern
Nach der Bleiche werden die einzelnen Fasern voneinander getrennt. Dies geschieht, indem die Rinden mit Hartholzstöcken geschlagen werden, oft erst mit einem groben Stock und anschließend beidhändig mit zwei dünnen.
Heutzutage werden häufiger auch Stampfer-Geräte eingesetzt.

Sind die Fasern schließlich gut vereinzelt, kann das Schöpfbecken vorbereitet werden.
Schöpfen des Papiers
Für die Herstellung von Washi braucht es weiches und reines Wasser. Diesem wird neri beigemischt, die viskose, rohem Eiweiß ähnelnde Flüssigkeit aus der Wurzel des Lotuspflanze Aoi Tororo (Abelmoschus manihot). Zur Gewinnung des Sekrets wird die Wurzel zerschlagen.

Neri im Schöpfbecken bewirkt eine gleichmäßige, klumpenfreie Streuung der kozo-Fasern und ihr langsameres, ebenmäßigeres Absinken, was beim Schöpfen Zeit zum Rütteln des Siebes gewährt und damit stärkeres Ineinanderlegen der Fasern ermöglicht. Nur so kann stabiles, dünnes Washi hergestellt werden. Dabei ist neri keine Zutat sondern ein Hilfsmittel: Anfällig für Wärme, Reibung und bakterielle Zersetzung, verflüchtigt es sich schnell. Im fertigem Papier sind nur noch winzige Spuren nachweisbar.
Nun ist es soweit: Die in einzelne Fasern zerschlagenen Rinden werden ins Becken gegeben und das Papier kann geschöpft werden. Das Sieb, bestehend aus einer in einen Holzrahmen gespannten Bambusmatte, nimmt der Hersteller beidhändig und schöpft aus dem Becken. Er rüttelt nun am Sieb, abwechselnd einige Male horizontal und einige Male vertikal, bis die Fasern auf den Bambusgrund gesunken sind, was den Moment kennzeichnet, in dem er das übrige Wasser abwirft und den Schöpfprozess wiederholt. Die Anzahl der Wiederholungen bestimmt die Dicke des Papiers. Ist er fertig mit einem Blatt, legt er es sogleich auf einen Stapel - und zwar ohne Zwischenlagen. Für europäische Papierhersteller scheint das wohl verwunderlich, doch bleiben aufgrund der bereits fest ineinander verhakten Fasern die einzelnen Blätter Washi selbst im nassen, frisch geschöpften Zustand nicht aneinander kleben.

Trocknen und Qualitätsprüfung
Ist die gewünschte Menge Papier gewonnen, wird der ganze Stapel in einer Pressmaschine kräftig ausgewrungen. Auch dies ist ohne Verkleben der Einzelseiten möglich.

Zum Trocknen wird das Papier Seite um Seite vom Stapel genommen und mit Handbürsten auf Holzbretter oder Stahlheizkörper angebracht.
Dabei gibt es auch solche Holzbretter, die auf den Papieren einmalige Muster ihrer Maserung hinterlassen.
Nach dem Trocknen erfolgt eine Qualitätskontrolle. Stark beschädigte Seiten können zerkleinert und erneut ins Schöpfbecken gegeben werden.
Anschließend kann das fertige Papier an den Laden oder Aufftraggeber herausgegeben werden.
Es gibt viele Techniken, mit denen während der Herstellung Strukturen, Wasserzeichen, Farben oder zusätzliche Pflanzenfasern ins Papier eingearbeitet werden können, sowie Färbungen nach dem Trocknen, z.B. Batik.

Zum Abschluss eine Anekdote
Folgende Begebenheit erzählt zwar ein dunkles Stück Geschichte des Japanpapiers, jedoch auch vom Möglichkeitsreichtum natürlicher Materialien und der menschlichen Erfinderkraft.
Kurz vor Ende des zweiten Weltkriegs, zwischen 1944 und 1945, erhielten Papiermacher in der Region Ogawa vom japanischen Militär den Auftrag, in beachtlicher Anzahl große Papiere herzustellen. Die Bestellung diente, wie die ahnungslos rätselnden Handwerker schließlich herausfanden, dem Bau von Ballons mit einem Durchmesser von jeweils 10 Metern, die Bomben nach Amerika tragen sollten - Das verlierende japanische Militär wollte nicht aufgeben und wurde erfinderisch.
Einzig aus Papier aus Strauchrinde gemacht und mit Teufelskralle zur Wasserresistenz gehärtet, wurden die Ballons mit Treibgas gefüllt und per Fliegern auf einer Höhe von 10,000m in Windströmungen entlassen, auf welchen sie mit 2,000 bis 8,000km/h Richtung Amerika trieben.
Und was geschah? Kamen sie an?
Sie erreichten die amerikanische Küste, wo sie gesichtet und abgeschossen wurden.
Können Sie sich vorstellen, was sich mit solch einem reichen Naturmaterial wie Washi und mit menschlichem Einfallsreichtum im Frieden tun ließe?
Es handelt sich hier um bloße Strauchrinde, die der Mensch veredelt!
Ich selbst, nun frisch geschlüpfte und die ersten Schritte gehende Puppenmacherin, habe das Japanpapier in meine Arbeit aufgenommen. In meiner in Japan entwickelten Methode, Handpuppen zu bauen, bringe ich Washi über das Meer nach Mitteleuropa und gebe nach Japan zurück dieses neue Puppenspiel, das sich mit ihrer traditionellen Handwerkskunst gefunden hat.
Das von Menschenhand im Jahreslauf gewonnene Papier gibt der Puppe eine besondere Lebendigkeit, beispielsweise in einer schon beim Ansehen wärmenden, organischen Oberfläche - Es birgt in sich eine therapeutische, dem Menschen nahe Natur.

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